Mauthausen-Überlebender Dugo Leitner verstorben
16.08.2023
David „Dugo“ Leitner wurde 93 Jahre alt
Am 26. Juli 2023 starb der Mauthausen- und Gunskirchen-Überlebende David Leitner im Alter von 93 Jahren. Er lebte in Nir Galim, einem Moshav im Süden Israels, wo er gemeinsam mit ungarischen Überlebenden, u. a. auch von Mauthausen und Gunskirchen, zum Mitbegründer des Beit Haedut, des Testimony Houses, wurde. Dugo, wie er genannt wurde, war ein beliebter Zeitzeuge, der den Besuchern und Besucherinnen des Beit Haedut seine tragische Holocaust-Geschichte immer auch mit Humor erzählte. Am 26. Juni dieses Jahres besuchte ein Team von zwölf Pädagoginnen des Beit Haedut die KZ Gedenkstätte Mauthausen und Gunskirchen, unter ihnen auch Dugo Leitners Tochter Zehava Kor. Mitten im Wald von Gunskirchen nahm sie über Videotelefonie Kontakt mit ihrem Vater auf, der sofort über seine Zeit im schrecklichen Lager Gunskirchen zu erzählen begann.
Dugo Leitner erfreute sich in den letzten Jahren in Israel einer wachsenden Bekanntheit und Beliebtheit durch ein neues jährliches Erinnerungsritual am 18. Jänner. Viele Israelis schließen sich an diesem Tag der „Operation Dugo“ an und essen wie er im Gedenken an Shoah-Überlebende eine oder zwei Falafel, Pita-Brote gefüllt mit Salat und frittierten Kichererbsenbällchen. – Wie es dazu kam, lässt sich anhand eines Auszugs aus Dugos Lebensgeschichte erklären.
Dugo wurde 1930 in Nyíregyháza in Ungarn den Eltern Meir und Golda Leah geboren und wuchs mit drei Geschwistern in einem orthodoxen Elternhaus auf. Als im März 1944 die Deutschen in Ungarn einmarschierten, musste die ganze Familie ins Ghetto. Sechs Wochen später wurden alle nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort stand der 14-jährige Dugo mit 2.000 Kindern und Jugendlichen bereits in der Gaskammer, als Josef Mengele noch fünfzig Jungen herausholte, um sie als Läufer, an der Rampe oder im Krematorium arbeiten zu lassen. Kurz vor der Befreiung von Auschwitz begannen für Tausende Gefangene mehrtägige Todesmärsche und zehntausend wurden in Viehwaggons nach Mauthausen deportiert. Dugo traf am 30. Jänner 1945 bei eisiger Kälte ein. Im April wurde der Teenager mit unzähligen Jüdinnen und Juden ins berüchtigte Zeltlager eingewiesen und von dort nach Gunskirchen getrieben. Auf den Todesmärschen von unbeschreiblichem Hunger geplagt träumte Dugo von seinem Lieblingsessen, den Bilkalach – goldbraun gebackenen Teigbällchen seiner Mutter, die in Auschwitz ermordet wurde. – Dugo wurde in Gunskirchen befreit und ging 1949 nach Israel. Auf einem Markt in Jerusalem sah er zum ersten Mal Falafel, die ihn an die Lieblingsspeise seiner Jugend erinnerten. Obwohl das Kichererbsengericht ganz anders schmeckte, aß er gleich zwei Portionen. Seitdem machte er es zu einer Tradition, jeden 18. Jänner zwei Falafel-Portionen zu essen, um sein Überleben zu feiern.
Dieses Falafel-Ritual war für Dugo vorerst eine private Angelegenheit. Seine Frau und seine beiden Töchter hat er nie dazu ermutigt, sich ihm anzuschließen. Erst als vor einigen Jahren seine Urenkelkinder begannen, sich dafür zu interessieren, erreichte die Nachricht von dem Ritual das Testimony House, die Holocaust-Erziehungseinrichtung in Nir Galim, die Dugos Geschichte 2016 in den sozialen Medien postete. Von da an schlossen sich am 18. Jänner immer mehr Menschen an und das Falafel-Essen an diesem Tag bekam den Namen „Operation Dugo“. Im Jahr 2019 lud der israelische Präsident Reuven Rivlin Dugo zu einem Falafel-Essen ein. Auch das gegenwärtige Staatsoberhaupt Isaac Herzog und der ehemalige Generalstabschef der israelischen Armee beteiligten sich an dieser neuen Tradition. Mittlerweile teilen Tausende Menschen in den sozialen Medien Bilder von sich, wie sie unter dem Hashtag #OperationDugo Falafel genießen und sich Schicksalen wie dem von Dugo erinnern.
Der Nachruf wurde von unserer Vermittlerin Angelika Schlackl verfasst.